Maria Noichl: Lehrstück europäischer Demokratie

Maria Noichl, MdEP

13. Dezember 2018

Der von der EU-Kommission vorgeschlagene Verordnungstext zu mehr Transparenz in der Lebensmittelkette wurde in dieser Woche von einer breiten Mehrheit des Europäischen Parlaments bestätigt. Der Kommissionsvorschlag geht auf die europäische Bürgerinitiative zu Glyphosat zurück.

Die im vergangenen Jahr gestartete europäische Bürgerinitiative „Verbot von Glyphosat und Schutz von Menschen und Umwelt vor giftigen Pestiziden“ sammelte innerhalb kürzester Zeit mehr als 1,4 Millionen Unterschriften von Bürgerinnen und Bürgern in ganz Europa. Diese Menschen wollten ein Zeichen gegen ein bisher löcheriges Zulassungssystem von Pestiziden und gegen die Nutzung des Unkrautvernichters Glyphosat setzen und mehr Engagement auf europäischem Niveau fordern.

Die Europäische Kommission reagierte wenige Monate später darauf und präsentierte einen neuen Vorschlag über die Transparenz und Nachhaltigkeit der EU-Risikobewertung in der Lebensmittelkette. Wir Europaabgeordnete hatten in dieser Woche die Möglichkeit, über unsere Position zu dem Kommissionsvorschlag abzustimmen. Für mich ein Lehrstück europäischer Demokratie, bei dem in kürzester Zeit dem Willen der Bürgerinnen und Bürger durch einen Gesetzgebungsprozess Rechnung getragen wurde.

Aber um was ging es genau? Wie ihr sicher schon wisst, liegt bei dem europäischen Zulassungsverfahren einiges im Argen. Erst vor zwei Wochen hat der Bayerische Rundfunk in einer großangelegten Recherche über mehrere Monate 25 Zulassungsanträge von Pestiziden in der EU untersucht. Dabei kam heraus, dass bei allen Prüfberichten der Zulassungsbehörden aus den Anträgen der Hersteller herauskopiert wurde. Dabei sollen die Behörden in den Mitgliedstaaten in diesen Berichten die Daten der Unternehmen unabhängig geprüft werden.

Bei 15 Anträgen fanden sich solche „copy+paste“-Abschnitte in dem entscheidenden Abschnitt zur Risikobewertung. Dem Teil also, in dem die Risiken für die menschliche Gesundheit bewertet werden sollen. Eine Mehrheit der Prüfbehörden verließ sich an dieser Stelle also auf die Einschätzungen der Pestizidhersteller selbst, kopierte sie, ohne dies kenntlich zu machen, und gab sie so als ihre eigenen Analysen aus. Diesen Fehler ausfindig zu machen, war bei vielen Studien für die Öffentlichkeit unmöglich, da die Daten von der Industrie geheim gehalten werden konnten.

Auch an anderer Stelle konnten die Chemieunternehmen bisher leicht tricksen. Die Europäische Union hatte bisher kein öffentliches Register, in dem Auftragsstudien registriert werden mussten. Das führte zu der Praxis, dass viele Unternehmen Studien abbrachen und unter den Teppich kehrten, sobald klar wurde, dass ihre Produkte gesundheitsschädigende Auswirkungen haben könnten.

Mit dem neuen Kommissionsvorschlag wollen wir SozialdemokratInnen dies nun ändern. Gemeinsam mit den Grünen und den Linken haben wir für die Schaffung eines öffentlichen Registers eine Mehrheit im Plenum finden können. Dort sollen alle wissenschaftlichen Studien, Daten und sonstige Informationen bei der Beantragung einer Zulassung öffentlich gemacht werden. Dies gibt externen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern die Möglichkeit, die Behauptungen der Industrie und die Einschätzung der Prüfbehörden zu überprüfen. Die CDU-/CSU-Europaabgeordneten und die Europäischen Konservativen haben sich gegen diese Forderungen nach mehr Transparenz gestellt.

Laut dem von uns angenommenen Text müssen alle Studien nun auch registriert werden. Dadurch können die Hersteller unliebsame Studien nicht mehr unter den Teppich kehren. Ein sichereres Prüfverfahren wollen wir auch dadurch erreichen, dass im wissenschaftlichen Ausschuss der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) künftig aktive Wissenschaftlerinnen mit Publikationen in peer-revieweden wissenschaftlichen Zeitungen sitzen müssen. In solchen Expertengremien brauchen wir unabhängige Wissenschaftlerinnen und keine entsandten Beamtinnen und Beamte der Mitgliedsländer.

Für uns war auch wichtig, dass Überprüfungsstudien im Fall von unterschiedlichen wissenschaftlichen Bewertungen zu einem Wirkstoff zukünftig von der EFSA in Auftrag gegeben werden können und von einem Industrie-Fonds bezahlt werden sollen. Der CDU-Berichterstatterin gingen diese Änderungen zu weit. Sie trat als Berichterstatterin und Verhandlungsführerin des Europäischen Parlaments zurück. Nun muss schnellstmöglich ein Ersatz gefunden werden, weil die Trilogverhandlungen mit der EU-Kommission und dem Rat sonst nicht starten können. Mit ein bisschen Glück können wir dann die Verordnung noch in dieser Legislatur verabschieden.

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