Maria Noichl: Neu ist nicht immer besser

Maria Noichl, MdEP

20. April 2018

Revision der Öko-Verordnung

Gut Ding will Weile haben. So heißt es oft so schön. Die Öko-Verordnung wurde fast während der gesamten Legislatur ver- und bei uns im Ausschuss behandelt. Kein anderes Gesetzesvorhaben hat das Europäische Parlament so lange beschäftigt. Knapp vier Jahre und 18 lange Trilogsitzungen hat es gebraucht, um einen Kompromiss zwischen dem Europäischen Parlament, der EU-Kommission und dem Europäischen Rat zu finden. Mit diesem ist nun keiner so recht zufrieden. Denn die neue Öko-Verordnung bringt nur wenige substantielle Fortentwicklungen im Vergleich zur alten.

Vielmehr fällt sie in vielen Bereichen hinter die aktuellen Standards zurück. Folglich gibt es ein eher unübliches Potpourri an Einschätzungen: Bei der abschließenden Abstimmung im Rat der Ministerinnen und Minister hat sich Deutschland mit zwei anderen Mitgliedstaaten enthalten. Sechs andere haben gegen den Kompromiss gestimmt. Die Europäische Kommission bedauert öffentlich, dass nur so wenige ihrer Vorschläge angenommen wurden und eine knappe Mehrheit im Europäischen Parlament macht deutlich, dass die nächste Reform nur eine Frage der Zeit sein wird.

Bio-Sektor auf dem Vormarsch

Dabei hätte die nachhaltigste Landwirtschaftsform, die wir kennen, etwas anderes verdient. Der europäische Bio-Sektor ist europaweit auf dem Vormarsch. Verbraucherinnen und Verbraucher geben mehr Geld für biologische Lebensmittel aus und die Biomarktanteile nähern sich in vielen Ländern der Zehn-Prozent-Marke an (in Deutschland liegt der Anteil bei etwa sechs Prozent).

Vor diesem Hintergrund und beruhend auf der Annahme, dass die europäischen Verbraucherinnen und Verbraucher das Vertrauen in ökologische Lebensmittel verloren hätten, schlug die EU-Kommission eine Totalrevision der bisher geltenden Öko-Verordnung im März 2014 vor. Die Öko-Bibel, welche bisher den gesamten Bereich der ökologischen Landwirtschaft in der EU, von der Herstellung über die Verarbeitung bis zum Import ökologischer Produkte, geregelt hat, sollte komplett neu geschrieben werden. Für den Sektor, der noch mit der Auslegung der alten Verordnung beschäftigt war, eine Hiobsbotschaft.

Öko-Bauern werden für Verunreinigungen der konventionellen Landwirtschaft in Verantwortung genommen

Im Mittelpunkt der Diskussion stand von Anfang an die potentielle Abkehr von der Prozesskontrolle, hin zu einer Endbetrachtung des ökologischen Produkts. 17 Mitgliedstaaten – Deutschland ist nicht darunter – sehen aktuell besondere Grenzwerte für ökologische Lebensmittel vor, die in einer solchen Endkontrolle des Produkts überprüft würden. Das Problem: Die Festsetzung von Grenzwerten führt letztlich dazu, dass die ökologische Landwirtschaft für Verunreinigungen und Pestizide aus der konventionellen Landwirtschaft geradestehen muss.

Die Biolandwirtschaft kann leider auch nicht verhindern, dass durch Abdrift oder Wind Pestizide oder andere Verunreinigungen auf ihre Felder gelangen. Nach der neuen Öko-Verordnung müssen nun die Bio-Bäuerin und der Bio-Bauer in einem amtlichen Verfahren beweisen, dass sie für diese Verunreinigungen nicht verantwortlich sind. Die Verfahren haben laut den aktuellen Bestimmungen keine Maximaldauer. Die Vorgabe, dass diese „in einer angemessenen Zeit“ beendet werden sollen, wird in einigen Fällen nicht reichen, um zum Beispiel leicht verderbliche Ware nach einem späten Kontrollergebnis trotzdem noch zu verkaufen.

Wundertüte für die ökologische Landwirtschaft

Zudem wird die Öko-Verordnung aufgrund der vielen Befugnisse für die Europäische Kommission durch delegierte Rechtsakte und Durchführungsrechtsakte für große Verunsicherung sorgen. Die Revision ist für den ökologischen Sektor noch eine Wundertüte, das heißt, niemand kann derzeit genau sagen, was die Neuerungen in der Praxis konkret bedeuten werden. Planungs- und Rechtssicherheit für unsere Landwirtinnen und Landwirte sehen anders aus. In vielen Bereichen fällt die überarbeitete Öko-Verordnung gar hinter die aktuell geltende zurück.

Geringere Kontrollintensität und niedrigere Tierwohlstandards werden das Vertrauen der europäischen Bürgerinnen und Bürger in Bio-Produkte nicht nachhaltig stärken. Denn ein risikobasierter Ansatz bei den Kontrollen von Öko-Höfen wird vielleicht dazu führen, dass die Kontrollbehörden etwas Geld sparen können. Ein größeres Vertrauen bei Verbraucherinnen und Verbraucher wird dadurch aber nicht geschaffen. Im Bereich Tierwohl schreibt die Revision nun rechtlich fest, was in vielen Bio-Hühnerställen heute schon Realität ist: Bio-Massentierhaltung.

Demnach dürfen zukünftig in jedem Stall beliebig viele Einheiten von je 3.000 Hühnern hausen. Die Enthornung von Rindern ist weiter zugelassen, genauso wie das Schwänze kupieren für Schafe und das Schnäbel stutzen bei Hühnern.

Konstruktiv in die Zukunft

Das Nein unser der SPD-Europaabgeordneten, gemeinsam mit einigen anderen Delegation aus unserer und anderen Fraktionen, hat leide nicht gereicht, die Totalrevision zu stoppen. Dennoch gilt es nun, das Beste aus der verabschiedeten Verordnung zu machen und den Blick auf die Ausgestaltung zu richten sowie die hohe Anzahl an delegierten Rechtsakten und Durchführungsrechtsakten kritisch und mit Blick auf die Praxis zu begleiten. Nach der bald vierjährigen Hängepartie muss der Sektor endlich Rechts- und Planungssicherheit erhalten und keine weiteren Steine mehr in den Weg gelegt bekommen. Dann wird er hoffentlich seine Erfolgsgeschichte weiterführen können.

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