Maria Noichl: Leben ohne Antibiotika: Und täglich grüßt der Tod

Maria Noichl, MdEP

17. September 2018

Die Bekämpfung von antimikrobiellen Resistenzen ist eine der zentralen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. Bei weiterer Untätigkeit riskiert die globale Gemeinschaft hohe Opferzahlen und einen immensen wirtschaftlichen Schaden. Der von der Europäischen Kommission vorgelegte Aktionsplan zur Bekämpfung antimikrobieller Resistenzen benötigt in den Augen des Europäischen Parlaments weiteren essentiellen Verbesserungsbedarf.

Seit der Entdeckung des Penizillins im Jahr 1928 haben antimikrobielle Mittel Leben gerettet und unsere Gesellschaft und Wirtschaft revolutioniert. Krankheiten, die früher tödlich verliefen, wurden zu Routinebeschwerden, die - in Europa - wenig mehr als eine kurze Behandlung erforderlich machen. Diese Zeit neigt sich aktuell dem Ende zu. Überall auf der Welt werden mehr und mehr Erreger festgestellt, die für die meisten uns bekannten Antibiotika Resistenzen entwickelt haben. Laut Schätzungen gibt es allein in der EU daher jährlich bereits 25.000 Todesfälle - weltweit sind solche Keime für 700.000 Todesfälle verantwortlich.

Auf dem Weg ins postantibiotische Zeitalter

Dabei ist das Jahr 2018 bereits in die Geschichtsbücher eingegangen als jenes, in dem der erste weltweit bekannte multiresistente Trippererreger bei einem Mann in London festgestellt wurde. Vermutet wird, dass er sich mit diesem Supererreger in Asien infiziert hatte. Das Schicksal des Mannes, gegen dessen Erreger keines der aktuellen Standard-Antibiotika angeschlagen hat, ist uns nicht bekannt. Der Fall macht deutlich, dass sich die Welt auf dem Weg in ein postantibiotisches Zeitalter befindet. Einfache Infektionskrankheiten könnten dann wieder tödlich verlaufen, solange keine neuen Gegenmittel gefunden werden. Schon jetzt geht man davon aus, dass in etwa 30 Jahren mehr Menschen an antimikrobiellen Resistenzen als an Krebs sterben werden. Bei weiterer Untätigkeit gehen Studien im Jahr 2050 von bis zu 10 Millionen Todesfällen weltweit aus. Darüber hinaus kann dieser Kampf gegen die Resistenzen bis zur Mitte des Jahrhunderts zu einem globalen wirtschaftlichen Schaden führen, der mit der Finanzkrise von 2008 vergleichbar ist. Die Zeit drängt also.

Europäischer Aktionsplan als Grundlage für den Kampf gegen Supererreger

Die Europäische Kommission hat daher den Aktionsplan zur Bekämpfung antimikrobieller Resistenzen von 2011 erneuert. Dabei wurde das „Eine Gesundheit“-Konzept, welches beschreibt, dass menschliche und tierische Gesundheit miteinander zusammenhängen als Rahmen für den Aktionsplan definiert. Es basiert auf der Grundlage, dass Krankheiten vom Menschen auf Tiere und umgekehrt übertragen werden und deshalb beide konsequent und mit gleicher Priorität bekämpft werden müssen. Neu ist nun, dass das Konzept auch die Umwelt umfassen soll, die aufgrund des Eintrags durch den Menschen auch zum Verursacher multiresistenter Keime gezählt werden muss. Die Hauptziele des Aktionsplans lassen sich in drei Hauptsäulen unterteilen: die EU als eine Vorreiter-Region, Förderung von Forschung, Entwicklung und Innovation sowie die Intensivierung des Einsatzes der EU auf der globalen Ebene. Die EU-Kommission will zudem mit einer verbesserten Datenerfassung und -überwachung die antimikrobiellen Resistenzen bekämpfen. Ferner sollen die EU-Mitgliedstaaten besser zusammenarbeiten und effizienter sowie koordinierter forschen.

Europäisches Parlament sieht Verbesserungsbedarf

Wir Europaabgeordneten haben in dieser Woche deutlich gemacht, dass uns die Vorschläge der EU-Kommission nicht weit genug gehen. Für den Aktionsplan fordern wir einen klaren Zeitplan, der mit messbaren und verbindlichen Zielen und Zielvorgaben zu ergänzen ist. Die EU-Kommission haben wir aufgefordert, unverzüglich eine EU-Strategie zur Bekämpfung von Arzneimittelrückständen im Wasser und in der Umwelt auszuarbeiten. Außerdem sehen wir eine große Chance in der Weiterentwicklung von Schnelldiagnostika, damit Patienten, die mit multiresistenten Bakterien infiziert sind, rascher behandelt werden können. Diese Schnelltests sind bisher nur in 40% der OECD-Länder verfügbar. Schließlich hat sich das Europäische Parlament dafür stark gemacht, Reserveantibiotika in der Nutztierhaltung komplett zu verbieten und auch den prophylaktischen und metaphylaktischen Einsatz der Mittel auslaufen zu lassen.

Finanzielle Anreize für Viehhalter, den Einsatz von Antibiotika zu verringern, müssen in der neuen Gemeinsamen Agrarpolitik verfügbar sein. Denn in der Massentierhaltung wird heute aufgrund der überfüllten, beengten Ställen und mit hohem Stress verbundenen Bedingungen viel Antibiotika routinemäßig vorbeugend eingesetzt. Es ist mittlerweile bewiesen, dass ein Zusammenhang zwischen Antibiotikaresistenzen bei beispielsweise Masthühnern und den durch Bearbeitung, Zubereitung und Verzehr des Fleisches dieser Tiere hervorgerufenen Infektionen beim Menschen besteht. Daher brauchen wir auch hier ehrgeizigere nationale Ziele und Strategien, um die Bekämpfung des Antibiotikaeinsatzes in der Tierhaltung zu begrenzen. Des Weiteren haben wir uns in dem Bericht für Aufklärungskampagnen und eine Berücksichtigung des Themas bei Handelsabkommen eingesetzt. Dies ist vor allem von Bedeutung, wenn man bedenkt, dass z. B. die USA bei der Lebensmittelerzeugung fünfmal so viel Antibiotika einsetzen, wie beispielsweise das Vereinigte Königreich. Das Europäische Parlament hat sich daher auch dafür stark gemacht, den Übergang zu einer auf der Agrarökologie beruhenden Produktionsweise zu fördern und weiter zu entwickeln.

Die Bedrohung durch multiresistente Bakterien ist kein Schreckensszenario mehr, sondern schon heute Realität. Sie führt bereits jetzt zu einer hohen Zahl an Todesopfern und enormem wirtschaftlichen Schaden. Auch wenn das Thema mittlerweile global Aufmerksamkeit findet, sind wir bisher nicht in der Lage, der Bedrohung Herr zu werden. Dem besorgniserregenden Niveau von antimikrobiellen Resistenzen in vielen Regionen der Welt muss nicht nur mit einem europäischen, sondern einem globalen Aktionsplan begegnet werden. Dafür bedarf es Anstrengungen der EU sowie eine neue Initiative auf der Ebene der Weltgesundheitsorganisation und der Vereinten Nationen.

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